Die Urlaubspause ist vorbei. Florian und ich treffen uns wieder zur gemütlichen Plauderei über die Fotowelt, Fussball und natürlich Bildbänden. Diesmal haben wir das Thema „Schwarz-Weiß“ uns vorgeknüpft.
Florian wählte anlässlich einer Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum mit Henry Cartier-Bresson einen Klassiker der Schwarz-Weiß-Fotografie
Watch! Watch! Watch!
Henry Cartier-Bresson
Hirmer – Verlag
22,8 x 28,6 cm
288 Seiten
Juni 2024
49,90 €
Mehr dazu findet ihr wie immer in seinem Blog.
Meine Auswahl fiel auf einen Bildband, der meines Erachtens ebenfalls zu Klassikern im Genre ‚Streetfotografie‘ gehört:
Vivian Maier – Street Photographer
Herausgeber: John Maloof
25,5 x 28,5 cm
144 Seiten / 110 Fotografien
Neuauflage 2022
39,80 €
Die Geschichte von Vivian Maier kannte ich: Frau in Amerika, fotografiert täglich ihre Umwelt, veröffentlicht jedoch nichts, nach ihrem Tod riesiger Dachbodenfund, jetzt berühmt!
Doch als ich mich für die aktuelle Plauder-Ecke etwas genauer mit der Biografie der Fotografin, die soviele Bilder der Nachwelt hinterlassen hat, beschäftigte, bekam die obengenannte, eigentlich gradlinige und traumhafte Geschichte ein Paar Ecken und Kanten.
Vivian Maier wuchs in schwierigen Verhältnissen, geprägt von Armut in Amerika und Frankreich des frühen 20. Jahrhundert, auf. Sie arbeitete später als Haushälterin und Kindermädchen mit wechselnden Arbeitgebern. Wie sie zur Fotografie kam oder warum sie fotografierte bleibt unklar. Nur dass Sie am Ende ihres Lebens, auch auf Grund von Armut und Krankheit, die Lagerräume ihrer Fotografien nicht mehr bezahlen konnte, so dass diese von unterschiedlichen Menschen erstanden wurden und daraus ein Kampf um Bildrechte und Vermarktung begann. Zu Lebzeiten zeigte Vivian ihre Bilder keinem Menschen, veröffentlichte nichts und schrieb auch keine Kommentare oder Tagbücher, um ihre Fotografie einzuordnen. Außerdem hatte sie in den letzten Jahren ihrer Fotografie die Filme noch nicht einmal mehr entwickelt. Sie sammelte die Bilder einfach nur, so wie sie auch vieles andere wie Zeitungen und Papierschnipsel in ihrer Wohnung beherbergte. Heute würde man sie vermutlich als Messi bezeichnen.
John Maloof erstand einen Teil der Fotos aus Maiers Lagerraum als er eigentlich alte Stadtansichten von Chicago suchte. Der gelernte Makler erkannte den Wert der Bilder und begann diese zu vermarkten. Er ist auch der Herausgeber des aktuellen Bildbandes, um -wie er selbst im Nachwort schreibt- „Vivian Maier einen herausragenden Platz in der Streetfotografie“ zu verschaffen.
Ohne Frage zeigen die Bilder in dem Bildband auch wie gut Vivian Maier mit der Kamera umgehen konnte, Situation auf der Straße wahrnahm und diese auch gekonnt in eine Fotografie umwandelte. Sie spielte mit Schatten, ging nahe an die Menschen heran, zeigte vermeindlich Alltägliches, das aus heutiger Sicht aber geradezu bizarr wirkt. Alle Bilder sind mit einer hervorragenden Qualität gedruckt. Bildunterschriften, Zeit- oder Ortsangaben sucht man jedoch vergeblich. Bemerkenswert sind noch ein paar Selbstporträts von Vivian Maier, die sie während ihrer fotografischen Streifzüge in Spiegeln und Schaufensterns aufgenommen hat.
Außer einem kurzen Vor- und Nachwort und einem kurzen Text des Journalisten Geoff Dyer findet man im Buch keine weiteren Erläuterungen.
Zusammen mit der Biografie von Vivian Maier stellt sich für mich die Frage, darf man die Bilder dann überhaupt veröffentlichen. Überall wird Maier als verschlossene, zurückgezogene Frau geschildert. Es scheint keine Verwandte, keine Kinder oder engere Freunde gegeben zu haben. Die Todesnachricht, die John Maloff fand, war eine Annonce, aufgegeben von ehemaligen Kindern, die Maier als Kindermädchen betreut hatte. Ihr Verhältnis zu Männern galt als schwierig, wohl zurück zuführen auf Geschehnisse als Kind während ihrer Zeit in Frankreich, über die man nichts genaues weiß. Diese Frau sammelte -oder vielleicht sollte man besser „hortete“ sagen- über mehrere Jahrzehnte zweifellos qualitativ hochwertige Aufnahmen, die die Urheberin wohl bewußt nicht der Öffentlichkeit präsentierte, was jedoch nun nach ihrem Tode trotzdem passiert. Dieser Gedanke spielte bei mir bei jedem der 110 Schwarz-Weiß Fotografien mit. Gegen Ende des Buches finden sich auch einige Bilder, die ich – wären es meine Bilder – nicht veröffentlicht hätte haben wollen, zeigen sie Menschen auf der Strasse in einer Notlage durch Armut, Alkohol oder Gewalt.
In sofern bleibt mein Fazit ein gespaltenes: die Bilder sind ohne Frage von allergrößter Qualität sowohl technisch als auch der Moment, den Maier festgehalten hat. Sie erfüllen alle Kriterien, die es für gute Streetfotografien braucht und müssen sich keineswegs hinter anderen großen Namen des Genres verstecken. Dennoch bleibt bei mir ein Fragezeichen, ob man die Bilder überhaupt ohne Zustimmung der Fotografin und ohne Hintergründe zur ihrer Motivation veröffentlichen darf.
Aber dies ist nur meine persönliche Ansicht, macht Euch selber ein Bild vom Werk von Vivian Maier, das Buch „Street Photographer“ gibt dazu einen hervorragenden Einstieg.
Links:
Vivian Maier – Street Photographer ( Amazon *)
Website Vivian Maier betrieben von John Maloof
Watch! Watch! Watch! – Ausstellung im Bucerius Kunst Forum
Watch! Watch! Watch! ( Amazon *)
The Decisive Moment – Henry Cartier-Bresson ( Amazon *)
Henry Cartier-Bresson bei Wikipedia
Stauning – Distillerie in Dänemark
Bokal-Rettung – Doku in der ARD Mediathek
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Vielen Dank an den Schirmer / Mosel-Verlag, die mir das Buch freundlicherweise zur Rezension zugesandt haben.
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